Was ist Ergothionein?

Ergothionein (ERGO) ist eine einzigartige, natürlich vorkommende Aminosäure, die von Pilzen, Hefen und einigen Bakterienarten hergestellt wird. 

Es ist einzigartig, weil es sich im menschlichen Körper ähnlich wie ein Vitamin verhält. Vitamine sind für uns Menschen lebenswichtig, da unser Körper sie nicht selbst herstellen kann und sie für wichtige chemische Reaktionen benötigt werden. Obwohl ERGO (noch) nicht als Vitamin gilt, ist die Bedeutung dieser Aminosäure für den menschlichen Zellstoffwechsel offensichtlich, da unser Körper über ein Zellmembranprotein verfügt, das speziell für den Transport von ERGO in die Zellen bestimmt ist. Das Vorhandensein dieses Transportproteins bedeutet, dass es einen entscheidenden Bestandteil der Zellfunktion darstellt. 

Welche Wirkung hat Ergothionein?

Sobald ERGO in die Zellen eingegliedert wird, übt es mehrere biologische Wirkungen aus, die die Zellfunktion schützen und verbessern. So wirkt es beispielsweise als Antioxidans, Entzündungsregulator und Entgiftungshilfe. 

Die neuesten Untersuchungen haben ergeben, dass eine Ernährung mit Lebensmitteln, die einen hohen Anteil an ERGO aufweisen, diese schützende Wirkung haben und die Langlebigkeit fördern kann. Daher wird ERGO auch als „Vitamin der Langlebigkeit“ bezeichnet.

Was macht Ergothionein so wichtig?

Ergothionein ist ein Thiol

ERGO ist ein Thiol – dabei handelt es sich um eine schwefelhaltige Verbindung. Einige seiner antioxidativen und potenziellen Anti-Aging-Wirkungen ähneln denen anderer thiolhaltiger Verbindungen wie etwa Glutathion und Coenzym Q10

ERGO unterscheidet sich dadurch, dass es ein viel kleineres Molekül ist, welches im ganzen Körper und in allen Abteilungen der Zellen verteilt ist. So ist es beispielsweise auch in der inneren Zellumgebung (Zytoplasma) sowie innerhalb der Mitochondrien (den energieproduzierenden Abteilungen der Zellen) vorhanden. 

Eine klinische Humanstudie hat ergeben, dass die Einnahme von ERGO als Nahrungsergänzungsmittel den ERGO-, Thiol- und Antioxidantienspiegel erhöhen kann, und dies wirkt sich möglicherweise auf verschiedene Arten positiv auf die Gesundheit aus.

Dr. Bruce Ames, ein Wissenschaftler an der University of California, der die Triage-Theorie aufgestellt hat, gehört zu denjenigen, die vorgeschlagen haben, ERGO als „Langlebigkeitsvitamin“ zu bezeichnen. Dieser Theorie zufolge nutzt der menschliche Körper Mikronährstoffe vorrangig für Überlebens- und Fortpflanzungsfunktionen. ERGO übernimmt hierbei äußert wichtige Funktionen. Aber ist es wirklich ein Vitamin?

Vitamine sind Bestandteile der Nahrung, ohne die wir weder leben noch gesund sein können. Unser Körper kann diese nicht selbst herstellen, weshalb sie ihm über die Nahrung zugeführt werden müssen. 

Die Bedeutung der klassischen Vitamine wie beispielsweise AB und C für die menschliche Gesundheit wurde anhand des Zusammenhangs zwischen einem ernährungsbedingten Vitaminmangel und einer bestimmten Reihe von Anzeichen und Symptomen einer Mangelerkrankung erkannt. 

Der Unterschied bei ERGO besteht darin, dass ein Mangelzustand bisher nicht festgestellt wurde, da es in allen Lebensmitteln in geringen Mengen vorkommt. Dieser niedrige Wert verhindert wahrscheinlich das Auftreten eines schwerwiegenden Mangels, ist aber alles andere als optimal.

Ergothionein-Spiegel im Körper

Ein weiterer Faktor, der darauf hindeutet, wie wichtig ERGO für die menschliche Gesundheit ist, ist die Effizienz des menschlichen Körpers bei der Bündelung und Speicherung dieser Verbindung. Wäre ERGO unwichtig, würde unser Körper nicht über die Fähigkeit verfügen, es so effizient zu bündeln und zu speichern. 

Insbesondere Körpergewebe, die sehr aktiv am Energiestoffwechsel beteiligt und anfällig für oxidativen Stress sowie Entzündungen sind, enthalten die höchste Konzentration an ERGO. Eine besonders hohe Konzentration weisen vor allem das Gehirn, die Leber, die Darmzellen, die Hoden, das Knochenmark, die Nieren, die Milz, die Lunge und die Augen auf. Überdies ist es in der Samenflüssigkeit und der Muttermilch enthalten. Alle diese Daten darauf hin, dass ERGO ein essenzielles Vitamin sein könnte.

Ergothionein und gesundes Altern

Das Gehirn reagiert möglicherweise am empfindlichsten auf niedrige ERGO-Werte in den Geweben, in denen ERGO vermehrt vorhanden ist. Schließlich ist das Gehirn das stoffwechselaktivste Gewebe im Körper. Die Verschlechterung der Gehirnfunktion mit zunehmendem Alter könnte möglicherweise mit einem verringerten ERGO-Spiegel zusammenhängen und eines der Anzeichen eines ERGO-Mangels sein, wenn es als Vitamin eingestuft wird.

Der ERGO-Spiegel nimmt mit zunehmendem Alter ab. Dies könnte sowohl auf eine geringere Nahrungsaufnahme als auch auf eine Abnahme der genetischen Expression der ERGO-Transportproteine zurückzuführen sein. Dieses Szenario weist darauf hin, dass ein ERGO-Mangel die altersbedingte Beeinträchtigung der Gehirnfunktion erheblich beeinträchtigen könnte. Es gibt Daten, die diesen Zusammenhang stützen, da zwei Humanstudien gezeigt haben, dass der ERGO-Spiegel bei älteren Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung niedriger ist als bei denjenigen ohne. Und es gibt Hinweise darauf, dass sich ERGO im Gehirn ansammelt, wo es vor oxidativen Schäden, Entzündungen und einer verminderten Mitochondrienfunktion schützen kann, die mit dem kognitiven Verfall bei älteren Erwachsenen einhergeht.

Gebrechlichkeit ist ein weiterer Zustand, der mit dem Altern einhergeht. Beim Versuch, die metabolische Grundlage der Gebrechlichkeit zu bestimmen, fanden Forscher heraus, dass die ERGO-Werte bei gebrechlichen älteren Probanden im Vergleich zu den nicht gebrechlichen älteren Probanden signifikant niedriger waren.

In einer anderen Studie wurde überdies gezeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen den ERGO-Werten und der Erhaltung des Gangbildes (Gangart) gibt. Störungen des Gangbildes sind ein häufiges Zeichen des Alterns. Die grundlegende Ursache für Gangstörungen bei älteren Erwachsenen ist eine oxidative Schädigung der Skelettmuskulatur. ERGO scheint dabei zu helfen, dieser Beeinträchtigung vorzubeugen.

Es wurde gezeigt, dass ERGO den oxidativen Stress in praktisch allen untersuchten Gewebe- und Zelltypen verringern kann wie etwa in der Auskleidung von Blutgefäßen, der Leber, der Niere, des Herzens und anderer Organe. Weiterhin könnte es auch die Giftwirkung vieler schädlicher Chemikalien reduzieren. Bei allen Anwendungen stehen die antioxidative und entgiftende Wirkung von ERGO im Mittelpunkt. So soll es sich besonders gut zum Schutz des Herz- und Gefäßsystems sowie vor erhöhtem oxidativem Stress, der mit Diabetes und Fettleibigkeit einhergeht, eignen.

Lebensmittel, die Ergothionein enthalten

Die Aufnahme geringerer Mengen an ERGO über die Nahrung könnte erklären, weshalb Amerikaner mehr altersbedingte Gesundheitsprobleme und eine geringere Lebenserwartung haben als die Einwohner anderer Länder. So liegt die geschätzte Aufnahmemenge von ERGO in den Vereinigten Staaten beispielsweise bei 1,1 mg pro Tag. In Italien beträgt die Menge dagegen bis zu 4,6 mg pro Tag.

Als Forscher eine zwanzigjährige Studie über die Ernährungsgewohnheiten von über 15.000 amerikanischen Teilnehmern analysierten, stellten sie fest, dass die Sterblichkeitsrate bei Personen, die auch nur kleine Mengen Pilze konsumierten, um 16 % niedriger war. Und wenn der Verzehr von Pilzen mit einer geringeren Menge an rotem Fleisch in der Ernährung kombiniert wurde, betrug die Verringerung der Sterblichkeitsrate sogar 35 %. 

ERGO könnte ein wesentlicher Bestandteil von Pilzen sein, die für diese Wirkung verantwortlich sind.

Alle Lebensmittel enthalten mindestens Spuren von ERGO. Die übliche konventionelle landwirtschaftliche Praxis der übermäßigen Bodenbearbeitung könnte jedoch der Grund dafür sein, dass der Nährstoffgehalt der Lebensmittel jetzt viel niedriger ist. Die übermäßige Bodenbearbeitung zerstört die Pilzmyzelien im Boden, die den Nutzpflanzen Nährstoffe wie beispielsweise ERGO liefern.

Pilze sind die wichtigste Nahrungsquelle für ERGO und machen etwa 95 % der gesamten Zufuhr an diesem Nährstoff aus. Zu den weiteren Nahrungsmitteln mit moderatem ERGO-Gehalt zählen Haferkleie, schwarze oder rote Bohnen sowie Innereien (z. B. Leber und Niere). Der ERGO-Gehalt von Pilzen variiert je nach Sorte erheblich. Eine Portion mit etwa 85 g Crimini- oder Portobello-Pilzen bzw. Champignons enthält etwa 5 mg ERGO. 

Shiitake-, Austern-, Löwenmähnen- oder Maitake-Pilze haben einen höheren ERGO-Gehalt, der bis zu 13 mg pro Portion (85 g) betragen kann. Kochen hat keine Auswirkung auf den ERGO-Gehalt. In Studien wurde nachgewiesen, dass der Verzehr von Pilzen den ERGO-Blutspiegel erhöhen kann.

Da Pilze zu den Lebensmitteln zählen, die den höchsten Gehalt aufweisen, liegt bei denjenigen Personen, die nicht regelmäßig Pilze zu sich nehmen, wahrscheinlich ein ERGO-Mangel vor. Und es gibt Hinweise darauf, dass dies das Altern und die Entwicklung altersbedingter Störungen beschleunigen könnte.

Ergothionein als Nahrungsergänzungsmittel

Die Einnahme von Ergothioneinpräparaten könnte angesichts der Sicherheit und der möglichen gesundheitlichen Vorteile einer erhöhten Zufuhr von ERGO eine gute Entscheidung sein. 

Zur Sicherheit von ERGO wurden umfangreiche Studien durchgeführt. Selbst bei extrem hohen Dosierungen wurden im Tierversuch keine nachteiligen Auswirkungen beobachtet. Und die empfohlene Zusatzdosis von 30 mg pro Tag liegt deutlich unter dem von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) festgelegten „No Observed Adverse Effect Level“ (Dosis ohne beobachtete schädliche Wirkung, NOAEL) von 800 mg pro kg Körpergewicht und Tag. ERGO wurde außerdem von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) als „Generally Recognized as Safe“ (GRAS), d. h. als generell sicher, eingestuft.

Eine klinische Humanstudie bestätigte die Wirksamkeit von ERGO in Form von Nahrungsergänzungsmitteln und zeigte, dass es vom Körper absorbiert und gespeichert wird. Dies erkannte man anhand des erhöhten ERGO-Spiegels (vorzugsweise) in den roten Blutkörperchen sowie im Plasma in Kombination mit einer minimalen Ausscheidung im Urin (weniger als 4 % der oralen Dosierung). Der Anstieg des ERGO-Werts stand im Zusammenhang mit einem Abwärtstrend bei den Biomarkern für Entzündungen und oxidative Schäden.

Fazit

Obwohl Ergothionein natürlicherweise in allen Lebensmitteln vorkommt, kann für eine optimale Versorgung mehr erforderlich sein als die übliche Nahrungsaufnahme. Dies gilt insbesondere für Personen, die nicht regelmäßig Pilze verzehren bzw. nicht verzehren können. 

Es gibt auch einige genetische Unterschiede zwischen den einzelnen Personen, bei denen eine höhere Zufuhr über die Nahrung oder in Form von Nahrungsergänzungsmitteln angezeigt sein kann. In Studien, in denen der ERGO-Blutspiegel nach dem Verzehr standardisierter Mengen an ERGO-Pilzen gemessen wurde, variierten die Blutwerte um mehr als das Zehnfache. Demzufolge könnten Blutanalysen, insbesondere Messungen des ERGO-Spiegels in den roten Blutkörperchen, verwendet werden, um eine optimale ERGO-Zufuhr sicherzustellen.

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